Interview
Mit einer Digitalisierungsoffensive möchte Bundeswirtschaftsminister Altmaier Läden vor Pleiten bewahren. Doch Bremens Handelskammer hat Vorbehalte – aus Erfahrung.

- Herr Nowak, Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier schwebt vor, dass Kunden Markenartikel nicht online beim Hersteller bestellen müssen, sondern das Produkt zum gleichen Preis online beim Einzelhändler ihrer Wahl kaufen können. Halten Sie das für ein realistisches Ziel?
- Nein. Es gibt in der Marktwirtschaft bei der Preisbildung viele Differenzierungsmerkmale. Wird eine Ware aufwendig präsentiert, oder kommt sie direkt aus einem Lager? Ist der Kauf der Ware mit Beratung und Service verbunden oder nicht? Das sind Fragen, die für die Preisbildung eine erhebliche Rolle spielen. Deswegen gibt es zwar Rahmenpreise, an denen man sich orientieren kann. Aber es ist immer möglich, dass die Welt am nächsten Outlet-Center schon eine andere ist, und dort daher auch andere Preise gelten, beispielsweise die einer Vorjahreskollektion.
- Trotzdem hat auch die Handelskammer Bremen mit den Websites "jetzt-kaufen-in-bremen.de" und "jetzt-kaufen-in-bremerhaven.de" im April Internet-Portale aufgebaut, mit deren Hilfe Kunden online bei den heimischen stationären Händlern einkaufen können. Wie haben sich diese Portale entwickelt, und wie kommen sie an?
- Zur Hochzeit der Corona-Pandemie, als der stationäre Handel, abgesehen vom Lebensmittelhandel und einigen anderen Ausnahmen, geschlossen hatte, haben sich diese Seiten sehr großer Beliebtheit erfreut. Wir hatten in Bremen und Bremerhaven zusammengerechnet fast 1.000 Einträge von stationären Händlern. Das hatte einen sehr hohen Wert, weil sich der Handel anderweitig dem Kunden kaum noch zeigen konnte. Über die Portale aber konnten die Händler sagen: Seht mal, wir sind noch da! Wir haben die Produkte, die Du haben möchtest, und schicken Sie Dir auch zu.
- Und wie haben die Kunden reagiert?
- Kundenseitig war das zunächst gewöhnungsbedürftig. Viele haben es wohl auch als sehr aufwändig empfunden, sich mit den Internet-Portalen vertraut zu machen. Hinzu kam: Nicht jeder Händler, der dort auftauchte, hat auch umgehend einen Internet-Shop angeboten. Man musste dort vielleicht erst anrufen, um ein Buch zu bestellen oder etwas ähnliches. Trotzdem glaube ich: Die Portale waren das Mittel der Wahl, als die Händler wegen der Corona-Pandemie komplett geschlossen hatten.
- Sie sprechen in einer Vergangenheitsform. Wollen Sie die Portale auflösen?
- Ja, wir schalten die Portale zum Ende des Monats erstmal offline. Die Portale waren sehr gute Instrumente, als die Geschäfte geschlossen hatten. Da war auch gar nicht absehbar, wie lange die Geschäfte geschlossen bleiben würden. Aber mit der Tatsache, dass die Läden – Gott sei Dank – wieder öffnen durften, sind auch die Portale für viele schnell gegenstandslos geworden. Man hat ja jetzt wieder die Möglichkeit, Kunden persönlich zu bedienen. Damit sind die Portale für die meisten Händler obsolet.

- Umso mehr stellt sich die Frage nach den Lehren aus der Zeit der Portale. Welche Erkenntnisse haben Sie, beziehungsweise Bremens Händler durch die Portale gewonnen?
- Das Thema Portale für den lokalen Handel beschäftigt uns, seit es die ersten Anbieter solcher Plattformen gibt. Wir haben alle Ansätze im Zusammenhang mit Internet-Portalen in Bremen schon in verschiedensten Kreisen diskutiert, natürlich immer insbesondere mit den Unternehmern. Wir haben letztlich bei allen Portalen, egal wo sie in Deutschland bereits eingesetzt wurden, festgestellt, dass sie, so lang es sich um Portale einer Stadt handelte, zu wenige Angebote vereinigen konnten. Anders gesagt: Der Kunde erwartet heute deutlich mehr als das, was ein regionales Portal leisten kann.
Die Erfahrung zeigt, dass so ein Portal meist an wenigen Akteuren hängt, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Website zu pflegen. Dazu muss man viel Überzeugungsarbeit leisten. Schließlich sagen sich viele kleinere Händler: Wenn dasselbe Portal auch von großen Anbietern und Ketten genutzt wird, dann relativiert sich vielleicht sogar der Nutzen, den ich davon habe. Die Großen können im Portal mehr Waren anbieten, haben eventuell sogar einen eigenen Webshop und mein Sortiment gerät dann in den Hintergrund. - Und was sagen die Kunden?
- Auch bei regionalen Portalen haben Kunden trotzdem den Anspruch, genau das gelbe Spielzeug-Feuerwehrauto aus den USA dort zu finden, das sie eben haben möchten. Um aber diesen speziellen Kundenansprüchen zu genügen, muss ein Portal riesengroß sein. Das schafft man auf regionaler Ebene einfach nicht. Da die Kunden aber wissen, dass es derartige Portale im globalen Online-Handel gibt, wird unser regionales Portal immer eher einen bescheidenen Stellenwert für diese Kunden haben. Wir empfehlen den kleinen Händlern, massiv an ihrer Auffindbarkeit im Netz zu arbeiten und für Kunden, die schnell ein Produkt vor Ort kaufen möchten, erreichbar zu sein. Ein eigener Webshop ist für viele nicht darstellbar.
- Um Unternehmer darüber zu informieren, welche Möglichkeiten sich ihnen durch die Digitalisierung erschließen, gibt es in Bremen und Bremerhaven unter dem Dach der Wirtschaftsförderung die Digital-Lotsen. Wie kommt dieses Angebot beim stationären Handel an?
- Gut. Die Einsicht, dass man digital auffindbar sein muss, ist unter den Händlern stark gewachsen. Die Frage ist ja: Was kann man, neben dem reinen Adressbucheintrag, noch machen, um gefunden zu werden? Mit welchen Instrumenten kann man das tun? Welche Kosten und welcher Aufwand stecken dahinter? Da können die Digital-Lotsen erhebliche Aufklärung leisten. Zumal sie neutrale Ansprechpartner sind, die kein Produkt verkaufen möchten.
- Woran hängt in Ihren Augen letztlich die Zukunft des stationären Handels in Bremens und Bremerhavens Innenstädten?
- Bisher war es so, dass der Handel in den Zentren der Frequenzbringer war. Die Menschen sind in die Innenstädte gekommen, weil dort so ein üppiges Angebot herrschte. Das wandelt sich. Der Handel bleibt zwar bedeutsam, man geht aber auch in ein Stadtzentrum beispielsweise, um Freunde zu treffen, einen Kaffee zu trinken, das nette Ambiente zu genießen. Dann will so eine Innenstadt entdeckt werden. Jetzt kommt es auf Angebote mit Freizeitwert an: Veranstaltungen, Gastronomie, Kultur, Events. Das wird erheblich an Bedeutung gewinnen. Ein weiterer Trend ist das innerstädtische Wohnen. Die Menschen wollen zurück in die Zentren und die Stadt profitiert davon, weil das ja auch abends in den Städten noch zu Leben und Bewegung führt. Deshalb müssen wir weg von den Strukturen, die sich ausschließlich auf den Handel, Büros und auf die Verwaltung konzentriert haben. Wir müssen hin zu bunten, lebendigen Quartieren, die vieles vereinen. Dazu können auch Einrichtungen aus den Hochschulen in den Zentren zählen. Denn die bringen auch Publikum mit, junges Publikum, mit neuen frischen Ideen, vielleicht auch für die Stadt von morgen.
Alternativer City-Gipfel: Das sagen junge Bremer zur Innenstadt
Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Der Tag, 4. August 2020, 23:30 Uhr
August 04, 2020 at 09:43PM
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Digitalisierungsoffensive? Wieso Bremer Händler es mit Skepsis sehen - buten un binnen
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