
Für Händler, die ihr Payment ganz oder teilweise über Wirecard abwickeln, stellen sich derzeit viele rechtliche und praktische Fragen. Zwei Experten geben Antworten.
Carsten Föhlisch, Rechtsexperte von Trusted Shops, und Dominik Haupt, Geschäftsführer der E-Commerce-Agentur Norisk, geben Tipps für den Umgang mit Wirecard.
Wirecard Bank nicht von der Insolvenz betroffen
Zunächst einmal gilt: Die Wirecard Bank, die die Auszahlung der Payment-Einnahmen aus dem Shop an die Händler abwickelt, ist derzeit von der Pleite der Wirecard AG nicht betroffen. "Die Finanzaufsichtsbehörde BaFin versucht, die Wirecard Bank AG vor der Insolvenz der Muttergesellschaft zu schützen", so Carsten Föhlisch, "Die Geschehnisse sind jedoch sehr dynamisch und können sich täglich ändern, daher sollten Online-Händler die Entwicklung genau verfolgen."
Auch Dominik Haupt sieht keinen zwingenden Grund für eine sofortige Aufgabe der Geschäftsbeziehung: "Grundsätzlich kann man sagen, dass Wirecard auch nach Insolvenz bis heute ohne Einschränkungen verfügbar war und ist und es bei einer seriösen Insolvenz-Verwaltung auch weiterhin so bleiben wird."
Keine Grundlage für sofortige Kündigung
Rein rechtlich besteht laut Föhlisch auch keine Möglichkeit, allein aufgrund des Insolvenzantrags oder einer Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Geschäftsbeziehung zur Wirecard Bank sofort zu beenden. Das Procedere für eine Kündigung der Geschäftsbeziehungen mit der Wirecard Bank richtet sich daher wie gehabt nach den in den AGB festgehaltenen Regelungen zu Kündigungsfristen und -gründen sowie gegebenenfalls nach individuell vertraglich festgelegten Regelungen. "Ob der Bilanzskandal der Wirecard AG einen wichtigen Grund darstellt, der es dem Online-Händler unzumutbar werden lässt, die Geschäftsbeziehung fortzusetzen und zu einer fristlosen Kündigung berechtigt, bedarf der Prüfung des Einzelfalles. Zu beachten ist jedoch, dass die Wirecard Bank AG derzeit nicht von dem Bilanzskandal und der Insolvenz der Muttergesellschaft betroffen ist", stellt er klar.
Föhlisch rät, den Auszahlungsrhythmus von monatlich oder wöchentlich auf täglich zu ändern, um eine zu hohe Bindung von Vermögenswerten an die Wirecard Bank zu verhindern. Gleichzeitig sieht er keine große Gefahr von Verlusten durch Zahlungsausfälle. Sollte auch über das Vermögen der Wirecard Bank AG ein Insolvenzverfahren eröffnet werden, wären die Einlagen dort geschützt: bis zu 100.000 Euro pro Kunde durch die gesetzlich vorgeschriebene Entschädigungseinrichtung deutscher Banken, zusätzlich durch die Mitgliedschaft im Einlagensicherungsfonds des Bundesverbandes deutscher Banken.
"Der Schutzumfang umfasst 19,7 Millionen Euro pro Einleger. Gelder, die ein Institut von den Zahlungsdienstnutzern ausschließlich bestimmt für die Durchführung von Zahlungsvorgängen entgegennimmt, gelten nicht als Einlagen, sondern sind nach § 17 ZAG entweder insolvenzfest zu trennen oder durch eine Versicherung gegen Insolvenz abzusichern", erklärt Föhlisch.
Unbedingt Plan B entwickeln
Das praktische Problem im Falle einer Insolvenz besteht für ihn daher nicht in einem Verlust der Einlagen oder Gelder, sondern darin, dass Online-Händler quasi von heute auf morgen durch den Wegfall des Service keine Zahlungen mehr abwickeln können.
Deswegen lautet die dringende Empfehlung beider Experten, einen Plan B zu erarbeiten. "Die Zukunft von Wirecard ist nicht planbar und niemand weiß, ob es zu einer Weiterführung oder einer Übernahme von Wirecard kommt. Daher ist es nötig, in der Risikobetrachtung einen möglichen Totalausfall einzuwerten", so die Einschätzung von Norisk-Geschäftsführer Dominik Haupt.
Er rät Shop-Betreibern, sich zügig nach einem alternativen Payment Service Provider beziehungsweise Acquirer umzusehen. Dabei ist es sinnvoll, einen möglichen Wechsel zu einem potenziellen neue Partner vorzubereiten - etwa indem vorab der Integrationsprozess im Detail durchgeplant wird - um im Ernstfall kurzfristig reagieren zu können. "Ein Payment-Switch ist gerade in komplexeren Systemlandschaften ein kritischer Prozess, der mit entsprechender Aufmerksamkeit abgearbeitet werden muss. Wer gut vorbereitet ist, hat im Ernstfall oder in einem Übernahme-Szenario von Wirecard dann die freie Entscheidung, ob ein Wechsel durchgeführt werden soll oder nicht", hebt Haupt hervor.
Dennoch ist es für ihn keine Frage, dass ein gebündelter Payment Ansatz nach wie vor für sehr viele Shopbetreiber einfach mehr Sinn mach als viele Einzelintegrationen über mehrere Payment-Anbieter. Das Kosten/Nutzen-Verhältnis sollte seine Meinung nach an diese Stelle immer im Fokus stehen. Größeren Shopbetreibern rät er aber, ihren Payment-Mix auf mehrere Anbieter zu verteilen beziehungsweise Fallbacks für den jeweiligen Anbieter einzuplanen. "Jeder Händler sollte sich an der Stelle die Frage beantworten: Wie lange brauche ich im Ernstfall für einen Payment-Anbieter-Wechsel und welche Kosten sind damit verbunden? Diese Kosten sind dann sind einem potenziellen Umsatzausfall gegenüberzustellen", so Haupt.
Derzeit keine Schadenersatzansprüche gegen Wirecard Bank
Schadenersatzansprüche für dadurch entstehende Kosten können Händler allerdings eher nicht geltend machen: "Da die Wirecard Bank AG die Auszahlungen an Händler derzeit ohne Einschränkungen durchführt und keine Pflichtverletzungen ersichtlich sind, sind Schadensersatzansprüche gegenüber der Wirecard Bank nach dem derzeitigen Erkenntnisstand nicht gegeben", so der Rechtsexperte Föhlisch.
Anders sieht die Situation für die Aktionäre der Wirecard AG aus. Aufgrund des Bilanzskandals musste die Wirecard Aktie starke Kursverluste hinnehmen, daraus können sich Schadensersatzansprüche gegen die Wirecard AG und gegen die persönlich haftenden Vorstandsmitglieder ergeben. Möglich erscheinen laut Föhlisch auch Schadensersatzansprüche gegen die beteiligten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften.
Quelle: Payment Summit
July 20, 2020 at 01:45PM
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Wirecard-Insolvenz: So sollten betroffene Händler reagieren - Internet World
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